Shitstorm & Co: Fällt auch Ihnen bald die eigene Werbung auf den Kopf?

<Grafik „Angry Dog“>

Drei beliebige Beispiele von vielen aus den letzten Monaten: Apple, IKEA und ein Ausflugslokal im Salzkammergut.

Drei völlig verschiedene Plattformen und Anlässe für Werbung und PR. Dreimal ein Schuss, der mehr oder weniger nach hinten losging.

Wer ist der nächste, dem seine Anzeige oder sein Plakat oder sein letztes Facebook-Posting um die Ohren fliegt? Kann es jeden treffen?

1) Wut über den IKEA-Katalog – wie bitte?

Manche finden, dass IKEA zu groß ist, zu billig im Ausland produzieren lässt und mehr Steuern zahlen sollte. Dem insgesamt positiven Image von IKEA hat das keinen Abbruch getan. Und jetzt: Die „Zeit“ vernichtet den IKEA-Katalog auf einer ganzen Seite. Wegen politisch korrekter (!) Bilder und Werbetexte. „Multikulti-WGs kochen vegane Menüs, Kinder knabbern rohen Brokkoli“, schimpft der Autor; „Ingvar, ich habe deinen Katalog durchgeblättert und bin wütend geworden. Du hast dich verändert. Du bist übergriffig geworden. Du willst mir nicht mehr nur Möbel verkaufen. Du sagst mir, wie ich leben soll.“

Nur in einem Teil der überdurchschnittlich vielen Onlinekommentatore wundern sich LeserInnen über die ungewöhnliche Heftigkeit des Artikels, der IKEA immerhin „Verarschung“ vorwirft. Was hat Johan Wickmark, bei IKEA global für den Katalog verantwortlich, falsch gemacht? Ist es nicht State of the Art, Produkte mit Geschichten aufzuladen, ein Lebensgefühl damit zu verknüpfen? W&V berichten über diese neue Katalogstrategie unter #Content-Marketing. Genau da gehört es hin, und es ist ja richtig – eigentlich…

2) Apples elektrische Zahnbürste im Ohr

Das iPhone 7 war kaum auf dem Markt, als sich im Netz Hohn, Spott und Ärger über die fehlende Ohrhörer-Buchse breitmachte. Drathtlose „AirPods“ für das Smartphone kosten immerhin 179 Euro. Die bereits als Ohrwürmer apostrophierten Teile werden mit Zahnbürstenköpfen (Foto: meedia.de; dort auch weitere Scherze) verglichen. Man verliert sie angeblich schon beim Betrachten der Abbildungen.

Apple hat durchaus nicht zum ersten Mal mit maulenden Kunden zu tun, die die (vielleicht sogar mutigen) Designeinfälle der Marke einfach doof finden. Diesmal allerdings verzeichnet der Handel unmittelbar nach der Produkteinführung 25% weniger Nachfrage als beim Vorgängermodell. Offenbar eine Fehleinschätzung der Kundenvorlieben, denn in Apples Produktspots sind auch nach diesem Nasenstüber keine aufklärenden Hinweise zu den fehlenden Buchsen zu sehen.

3) Ein Ausflugslokal wird politisch unkorrekt

Über mehrere Monate sammelten die neuen Pächter einer idyllisch gelegenen Jausenstation am oberösterreichischen Traunsee Facebook-Likes mit selbstironischen Postings. Dann allerdings, genervt durch erfolglose Personalsuche, machten sie ihrem Unmut über arbeitsunwillige Bewerber in einer Regionalzeitung drastisch Luft: Das Arbeitsamt schicke ihnen „arbeitsfaule Wohlstandsparasiten“ – diese Formulierung, dazu noch aus dem Mund von FPÖ-Gemeinderäten (die sie nebenbei auch sind), löste eine Welle des Volkszorns in der Kommentarseite der Oö. Nachrichten aus. 

PR-Desaster im Windschatten von #Hass-im-Netz?

Ingrid Brodnig Hass im NetzDie Öffentlichkeit ist ein ungemütlicher Ort geworden. Denn da draußen wabert eine stets erregungsbereite Grundmenge von Menschen, die bei den banalsten Anlässen den verbalen Totschläger herausholen. Ingrid Brodnig (Foto: brodnig.org), Medienredakteurin des „Profil“, hat den #Hass im Netz in ihrem gleichnamigen Buch analysiert und Gegenmaßnahmen skizziert. Ihr Erklärungsmodell greift auch für PR-Turbulenzen wie die geschilderten.

Gemeinsam ist IKEA, Apple und dem kleinen Ausflugslokal am Traunsee eines: Es hat sie völlig kalt erwischt; irgendwelche Anzeichen, dass man vielleicht ein kalkuliertes Risiko eingegangen wäre, gibt es nicht. Aber wie erwartbar die Ohrfeigen jeweils waren, dazwischen liegen Welten.

Bei FPÖ-Politikern (die neben dem Ausflugslokal sogar auch noch eine Werbeagentur betreiben) muss man wohl von einem momentanen Aussetzer ausgehen, wenn sie  tatsächlich die Sprengkraft des Worts „Parasiten“ nicht am Schirm gehabt haben sollten. (Dazu ein ebenso überraschender wie aufschlussreicher Thread auf meiner Facebookseite/ 1.10.2016) Apple mag darauf gesetzt haben, dass seine Kunden sich bisher stets nach einer Weile an ähnliche Zumutungen gewöhnt hatten. Wie das beim iPhone 7 ausgeht, bleibt abzuwarten. Und IKEA? Es war wohl einfach Pech, dass ein „Zeit“-Autor seine potentiell 2,3 Millionen Leser ausgerechnet bei diesem Katalog mit übler Laune eingedeckt hat – und nicht schon ein Jahr früher über den herkömmlichen Katalog (ohne multikulturell eingefärbte Lebensweisheiten) hergefallen ist.

„Code Red“ für Werbetexte – oder souverän dem Sturm trotzen?

Die Filterblase – das ist einer der Schlüsselbegriffe, den auch Ingird Brodnig zur Erklärung von entgleister Kommunikation heranzieht. Eigentlich ist das die Verengung der Weltsicht durch faktenwidriges Wegfiltern von allem, was überkommenen eigenen Standpunkten widerspricht. Donald Trump zum Beispiel trainiert seine Anhänger dazu.

Werbende Unternehmen sitzen manchmal in einer Blase, die ganz ähnlich funktioniert. Erfolgsverwöhntheit kann eine Ursache dafür sein, eine bisher homogene Zielgruppe oder, besonders bei kleinen Firmen, schlicht fehlende Marktkompetenz. Es läuft aber stets auf dasselbe hinaus: Sie ahnen nicht einmal, wie das Publikum ihre Botschaften aufnimmt. Sollen nun die Werbeagenturen CEPs anheuern, Chief Executive Paranoiacs, die jede Kampagne gegen jeden denkbaren Shitstorm imprägnieren? Wird Content Marketing zum russischen Roulette? – Nein, die Kirche bleibt im Dorf. Aber Sie sollten doch einige…

Konsequenzen aus der Verrohung der Sitten für die Werbung ziehen!
  • Wenn schon ein ziemlich normaler Produktkatalog abgeschossen wird – um wie viel leichter ein unbedachtes Posting auf einem Social-Media-Kanal. Lassen Sie also alle Texte, die Ihr Haus verlassen, gegenlesen: von kritischen Geistern, die mit aktuellen Meinungstrends vertraut sind.
  • Sie müssen der Erste sein, dem bewusst ist, dass Ihr Produkt oder Ihre Dienstleistung umstritten sein könnte. Gehen Sie damit offensiv (aber nie aggressiv) um. Vorbeugend freundlich zu argumentieren ist besser als ertappt aus der Defensive.
  • Lernen Sie aus jedem Kundenfeedback, wo Ihre Schwachstellen liegen; besonders aus Reklamationen und von Bewertungsportalen. Arbeiten Sie daran. Und gehen Sie offen, kulant und einsichtig damit um, wenn jemand den Finger in die Wunde legt.
  • Seien Sie ein Kühlmittel für den heißlaufenden Wutkäfig Internet (und andere mediale Erregungszonen): Pflegen Sie immer wieder eine fröhliche, sympathische Selbstironie. Das vermindert Ihre Eignung als Zielscheibe und verhilft Ihnen vielleicht sogar zum Beistand des werten Publikums, sollten Sie dennoch einmal ins Kreuzfeuer geraten.
  • Sie brauchen nicht zwanghaft politisch korrekt zu sein – nur einigermaßen sensibel. Aber wenn Ihre Werbung dennoch einmal Öl ins Feuer (statt auf die Wogen) gießt, dann sollten Sie schon vorher die Strategien zum Krisen- und Beschwerdemanagement parat haben.
Nützliche Links

Auch riskante Slogans können ins Verderben reißen

Über den Umgang mit negativen Online-Bewertungen – und anderen Beschwerden

Zum Schnuppern: Die 10 bekanntesten Shitstorms von computerbild.de

Netzmarketing-Experten zum Shitstorm-Management bei t3n

Special: Shitstorm in Facebook, mit vielen Beispielen bei Thomas Hutter

Die prominentesten Checklisten zur Krisenkommunikation (von Google)

29. September 2016

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